Es schreit und schreit und schreit…

Die Geburt der kleinen Maus ist heute fast 1,5 Jahre her. Denke ich an die Geburt und die ersten Wochen und Monate zurück, scheint mir mittlerweile alles so „unwirklich“, fast wie ein Traum. Als ob mein Gehirn einfach alles, was ich bisher immer als „Horrorerlebnis“ bezeichnet habe, mir weniger schlimm erscheinen lässt.
Im Prinzip eine sehr gute Funktion, denn wir hatten einen sehr schweren Start.

Allein die Geburt war schon so furchtbar, dass ich mich dazu entschieden habe, keins meiner zukünftigen Kinder jemals wieder in einem Krankenhaus zu bekommen.
Auch die Tage auf der Wochenbettstation waren nicht einfach, denn die Maus hat extrem viel geschrien.
Ruhig war sie eigentlich nur, wenn ich sie getragen oder gestillt habe. Leider wurde ich auf der Station so gut wie überhaupt nicht beraten, was das Thema Stillen oder übermäßiges Schreien angeht. Daher hatte ich am ersten Tag nach der Geburt beim Stillen so große Schmerzen, dass ich mir die Wehen zurückgewünscht habe.

Ich war so glücklich, als ich endlich nach Hause konnte. Bezüglich des Stillens habe ich sofort meine Vorsorge-Hebamme angerufen, bei der ich endlich gut beraten wurde. Auch das Schreien wurde besser, nachdem ich auch entspannter war.
Die nächsten zwei Wochen war unser neues Leben so schön und unkompliziert, dass ich schon verwundert war, wie einfach das alles ist…

Als die Maus dann drei Wochen alt war, begann sie plötzlich heftig zu schreien. Ich wollte sie stillen, was sie aber vor lauter Gebrüll nicht zugelassen hat. Schaukeln im Kinderwagen war ebenfalls nicht richtig. Egal, was ich versucht habe, es wurde mit weiterem Gebrüll beantwortet.
Ab diesem Tag an hat sie jeden Abend von 18 Uhr bis 1 Uhr nachts geschrien.

Wir waren natürlich bei unserer Kinderärztin, aber körperlich war alles in Ordnung. „Manche Kinder schreien eben mehr als andere“ war ihre Antwort. „Aber keine Sorge, meistens hört das nach drei Monaten von selbst wieder auf“. So sind wir mit unserem kleinen Schreihals wieder nach Hause… Wir wollten durchhalten und versuchten trotz dem Schreien alles hinzubekommen.

Nach den nächsten zwei Wochen wollte ich nicht mehr durchhalten. Ich war übermüdet und überreizt. Außerdem total überfordert und wütend auf das Baby und mich selbst.

Während der gesamten Schwangerschaft, habe ich gedacht, dass wir das schon alles schaffen werden, denn als Mama weiß man ja was seinem Kind fehlt… Jetzt war ich voller Selbstzweifel.
„Ich muss wohl eine der schlechtesten Mütter der Welt sein, denn ich scheine die einzige zu sein, die es nicht schafft ihr Kind zu beruhigen oder es zu verstehen. „, waren häufige Gedanken damals.
Ich habe mich gefühlt, wie eine Versagerin, denn ich habe die scheinbar einfachste Sache der Welt nicht geschafft.
Am liebsten hätte ich die Maus einfach in die Babyklappe gesteckt oder ausgesetzt. Irgendwann konnte ich sogar verstehen, warum Mütter ihre Kinder so einfach aus dem Fenster werfen.

In meinem Umfeld wollte ich mir keine Hilfe holen. Es war mir unglaublich unangenehm, dass ich nicht mit meinem Baby klarkam und es nicht beruhigen konnte.
Den Menschen im Umfeld, denen ich erzählte, dass die Maus ständig schreit, haben meine Laune noch weiter verschlechtert. Denn laut diesen Menschen war es ja meine eigene Schuld. „Das hast du nun von deinem ewigen Herumgetrage.“ oder „Lass sie doch einfach mal schreien. Dann wird sie es schon lernen.“ Eine Auszeit wäre daher nie in Frage gekommen. Ich hatte die Angst, dass der potentielle Babysitter nicht mit dem Baby klar kommt oder es zu „Erziehungszwecken“ einfach mal brüllen lässt.

In meiner Verzweiflung habe ich angefangen im Internet über mögliche Lösungen und die Ursachen zu recherchieren. Ich habe dabei ziemlich schnell herausgefunden, dass Stress und belastende Ereignisse während der Schwangerschaft und/oder der Geburt zu einer erhöhten Reizbarkeit beim Baby führen können…
Der nächste Gedanke war also „Na toll, du bist wirklich selbst daran schuld!“
Zumindest am Stress in der Schwangerschaft. Ich habe aus Trotz gegenüber einer total blöden Kollegin Vollzeit in der Pflege gearbeitet. Der Umzug zwei Wochen vor der Geburt war bestimmt auch nicht förderlich…

Zur Schreiambulanz wollte ich nicht gehen, da man hier in Hamburg, je nach Einkommen bis zu 60€ selbst bezahlen muss. Bei maximal 10-15 Sitzungen sind das mal 600€ – 900€. Kann man sich auch nicht unbedingt mal so nebenbei leisten…
Wir haben also versucht durchzuhalten… Die Tage, an denen ich heulend mit schreiendem Baby im Arm auf dem Sofa saß, konnte ich da kaum noch zählen.
An anderen Tagen war ich so wütend auf dieses kleine Würmchen, dass ich mich richtig beherrschen musste, ihr nicht wehzutun.
Um nicht auszuflippen habe ich die Maus auf einen 3-Stunden Stillabstand gewöhnt. So konnten der Superheld und ich uns mit der Betreuung abwechseln, so dass sich jeder kleine Pausen im Alltag nehmen konnte.

Irgendwann nach ca. 4 Monaten hat sie abends einfach nicht mehr angefangen zu brüllen. Endlich war es vorbei…
Mittlerweile ist sie ein total liebes und süßes Kind mit einem starken Willen. Auch ihre Abneigung gegen das Schlafen hat sich glücklicherweise gelegt.

Inzwischen weiß ich zum Glück, dass ich nicht am Schreien der Maus Schuld war. Auch dass ich nicht unfähig war weiß ich, denn wenn das Baby kein positives Feedback gibt, kann eine Mama gar kein Bauchgefühl im Umgang mit Baby entwickeln. Ich konnte erst nach ungefähr 10 Monaten deuten, was die Maus möchte.
Ich kann nur jeden mit einem Schreibaby raten sich irgendwo Hilfe zu holen. Und wenn es nur bei der eigenen Mutter oder Geschwistern ist, denn das alleine durchhalten zu müssen ist die Hölle…

Für diesen Artikel habe ich sehr lange gebraucht. Öffentlich darüber zu schreiben, wie ich mich zu dieser Zeit gefühlt habe und welche Emotionen ich meiner Maus gegenüber hatte, macht mir heute noch ein schlechtes Gewissen… Aber da es mir geholfen hat andere „Erfahrungsberichte“ zu lesen, wollte ich es doch einmal versuchen. Vielleicht hilft dieser Artikel ja auch der einen oder anderen Schreibaby-Mama.

22 Gedanken zu “Es schreit und schreit und schreit…

  1. Dienna schreibt:

    Uns ging es genauso, allerdings dauerte es noch länger, bis das Schreien ein Ende hatte. Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie Du Dich gefühlt hast.

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      • Dienna schreibt:

        Nein, das nicht. Als wir herausgefunden haben, warum er schreit, konnte man ihm deswegen nicht mehr böse sein. An den Nerven hat es trotzdem unglaublich gezerrt.

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  2. Frühlingskindermama schreibt:

    Danke Dir für Deinen berührenden Bericht! Ich freue mich, dass ich Dich ein wenig anregen konnte, das niederzuschreiben, was bestimmt schon ganz lange in Dir geschlummert hat. Wir haben viele Parallelen: eine schlimme Geburt und Krankenhauszeit, Schuldzuweisungen von anderen, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Wut und all die schrecklichen, unerwarteten Gefühle, die so etwas in einem auslöst. Man sieht aber auch die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Schreibabyerfahrungen. Deins war, wenn ich Dich richtig verstehe, ein klassisches Abendschreibaby. Was war mit den anderen Komponenten (nicht ablegen lassen, nicht einschlafen können, zu kurz schlafen, Reizüberflutung etc.)? Wart ihr beim Osteopathen? Interessant finde ich, dass Deine Maus mit ca. 4 Monaten aufhörte, aber Du schreibst, dass Du erst mit ca. 10 Monaten deuten konntest, was sie braucht und möchte. Kannst Du vielleicht darüber nochmal was schreiben? Wie war die Zwischenzeit, wie habt ihr euch „angenähert“? Warst Du eigentlich allein mit dem Baby (ich nicht, und trotzdem haben wir es kaum geschafft)?
    Liebe Grüße und danke nochmal für Deine Ehrlichkeit!

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    • phidalina schreibt:

      Hallo Frühlingskindermama,
      ich denke, es war Reizüberflutung. Der Papa kam nach Hause und das war meist schon zu viel. Sie hat sich auch nicht ablegen lassen. Das ging aber fast das gesamte erste halbe Jahr. Sie hat auch wenig und nur kurz geschlafen.
      Beim Ostheopathen waren wir nicht, denn laut Kinderärztin hatte sie keine Blockaden. Jetzt mit mehr Erfahrung hätte ich mir wohl noch eine 2. Meinung geholt.
      Ich denke, dass ich erst mit 10 monaten deuten kann, was sie wollte, da ich mich immer unter Druck gesetzt habe und dadurch kaum auf ihre Reaktion geachtet habe. Habe eine Sache nach der anderen ausprobiert, hauptsache sie hört auf zu schreien. Genauso bin ich auch nach der exzessiven Schreiphase noch mit ihr umgegangen.
      Die „Annäherung“ kam erst, nachdem ich für mich festgestellt habe, dass ich niemandem etwas beweisen muss. Ich bin meine eigene Linie gefahren, war entspannt und habe plötzlich Bestätigung von der Maus bekommen…
      Liebe Grüße
      Daniela

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  3. Christine / Villa Schaukelpferd schreibt:

    Ich finde es sehr mutig von dir, dass du deine Gefühle und die kaum auszuhaltene Situation nach der Geburt deiner Tochter gebloggt hast. Ich kann sehr vieles nachempfinden, auch, dass du dein Kind vor Wut auch mal in die Babyklappe stcken oder aus dem Fenster werfen wolltest (dass du zumindest so empfunden hast, ohne es tatsächlich tun zu wollen). Ich habe auch viele Male mit dem Gedanken gespielt, meine Kinder mal gegen die Wand zu klatschen, einfach, damit mal Ruhe vor diesem Gebrüll ist. Die meisten Mütter tun das nicht. Aber dass solche Gedanken kommen, das ist in so einer Ausnahmesituation doch völlig normal. Keine Mutter der Welt sollte sich deswegen schlecht oder schuldig fühlen. Ich freue mich sehr für dich, dass du dann zuhause eine hilfsbereite Hebamme an deiner Seite hattest, die dir bezgl. deiner Stillprobleme geholfen hat. Was ich aber absolut nicht nachvollziehen kann, ist die Tatsache, dass man bei einer Schreiambulanz teilweise selbst Kosten zahlen muss. Das sollte der Staat dringend ändern. Wie du schon schreibst, kann sich das Geld nicht Jeder mal eben so aus dem Ärmel schütteln. Stattdessen bleibt man mit dem Schreibaby zuhause und macht sich weiter Vorwürfe, erträgt das Gebrüll weiterhin alleine. Das größte Verständnis für meine Gefühle bekam auch ich im engsten Familienkreis, sprich von meinem Mann, aber auch von meiner Mutter. Das hat mir sehr viel meiner Schuldgefühle genommen, wenn man weiß, dass es auch anderen Müttern, nicht zuletzt der eigenen, manchmal so ergangen ist. Ich danke dir sehr für deine Offenheit und wünsche dir und anderen Betroffenen, dass viele Mütter diesen wertvollen Beitrag lesen!

    Liebe Grüße
    Christine

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    • phidalina schreibt:

      Hallo Christine,
      es wäre vielleicht am besten, wenn man die Schreiambulanz „auf Rezept“ bekommen könnte. Dann wäre eine Zuzahlung von, sagen wir mal 10€ pro Sitzung auch tragbar. Letztendlich ist es ja eine Art „Therapie“…
      Ich war auch ein Schreibaby. Mit meiner Mama habe ich auch viel geredet, da sie aber auch Vollzeit berufstätig ist und 800km weit weg wohnt, konnten wir nicht so oft sprechen. Es wäre toll gewesen, wenn sie mit der gleichen Erfahrung hätte helfen können.
      LG
      Daniela

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  4. Manati von Manatis Welt schreibt:

    Danke für deinen ehrlichen Bericht. Auch wenn man als Schwangere doch irgendwie davon ausgeht, dass alles hoffentlich „problemlos“ geht und man das dann schon irgendwie hinkriegt, ich informiere mich lieber vorab und lese deshalb solche Beiträge sehr gerne. Nicht falsch verstehen, ich gehe natürlich nicht davon aus, dass unsere Kleine nun ein Schreibaby wird o.ä., aber ich finde es tatsächlich beruhigend zu wissen, dass es vielen so geht/erging und dass ich im Fall des Falles eben nicht alleine wäre und gleich zu Anfang komplett an mir selbst zweifeln müsste- gerade im Bekanntenkreis scheint so etwas nämlich ein Tabuthema zu sein, da schlafen die Kinder mit ein paar Monaten ruhig durch, quängeln nur ganz leicht wenn sie hungrig sind und ansonsten sind sie natürlich rund um die Uhr dauergoldig…
    LG, Manati

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    • phidalina schreibt:

      Hallo Manati,
      man muss davon ausgehen, dass alles gut wird und man ein einfaches Baby hat, sonst würde man sich verrückt machen. Aber es schadet auch nicht, wie man im Zweifelsfall reagieren kann bzw. soll und wo man sich Hilfe holen kann.
      Dauergoldige Babys halte ich zu 99% für ein tolles Gerücht 😉
      LG und alles Gute für die Geburt und die erste Zeit danach, denn soo lange hast du ja auch nicht mehr…
      Daniela

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  5. Anja schreibt:

    Huhu,

    sehr toller Bericht. Danke für deine Whrlichkeit, damit machst du anderen Müttern Mut. Wir hatten 11 Monate ein Schreibaby. Jeder der in solch einer Situation ist hat eine ordentliche Portion Respekt verdient und ehrliche Hilfe. Ich habe mich vor ein paar Wochen auch dazu entschieden meinen Schreibabybeitrag zu veröffentlichen.

    Falls du unseren Bericht auch mal lesen möchtest:
    http://familiewitz.de/schrei-kindlein-schrei/

    Viele Grüße
    Anja

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  6. duese2013 schreibt:

    Huhu!
    Ein sehr toller Bericht!
    Hier bei uns war es genau das Gleiche. Die Maus ist jetzt knapp 1,5 und hat auch im Krankenhaus schon geschrien, dann war 4 Wochen Ruhe und danach saß ich jeden Abend stundenlang mit einem schreienden Kind da und wusste weder ein noch aus.
    Deine Gedanken und Gefühle kann ich alle 1:1 nachvollziehen. Man fühlt sich wirklich Schuld an allem, haben doch „die anderen“ alle „nicht schreiende“ Babys, die seelig schlummern…?!

    Eine richtige Schreiambulanz gibt es bei uns gar nicht und ich habe mich auch vom Kinderarzt sowie Hebamme ziemlich alleine gelassen gefühlt mit der Situation.

    Bei uns wurde es langsam immer Stück für Stück besser.
    Heute ist sie ein ausgeglichenes Kind, (Schlafen hasst sie zwar immer noch.. ;-)) und ich bin Stolz auf mich und Stolz auf uns, dass wir das so gut „hinbekommen“ haben. 😉

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